Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, dass Sie wieder so zahlreich erschienen sind und weiterhin für Neuerungen im Verkehrsrecht Interesse zeigen.
In Goslar treffen sich alljährlich Verkehrsexperten und Interessierte um verschiedene vorgegebenen Themen zu diskutieren um dann der Politik und dem Gesetzgeber Vorschläge zu unterbreiten, welche Änderungen, Verbesserungen oder aber auch Neuerungen für sinnvoll gehalten werden um letztendlich die Verkehrssicherheit und Gerechtigkeit zu stärken.
Wie schon letztes Jahr möchte ich Ihnen von den Tendenzen berichten, die sich angesichts des 51. Verkehrsgerichtstags in Goslar ergeben haben. Auch diesmal gab es acht Arbeitskreise zu verschiedenen Themen, die kontrovers diskutiert wurden. Aus dem umfangreichen Material erstelle ich eine Zusammenfassung und gebe die wichtigsten Empfehlungen weiter. Sollten sich dazu noch Fragen ergeben, so können sie jederzeit gestellt werden.
I. ERWERBSCHADENSERMITTLUNG BEI VERLETZUNG VOR ODER KURZ NACH DEM BERUFUNGSEINSTIEG.
Hier geht es um die Fälle, bei denen junge Menschen vor oder nach ihrem Berufseinstieg bei einem unverschuldeten Unfall so verletzt werden, dass sie entweder ihren angestrebten Beruf oder aber überhaupt keinen Beruf mehr ausüben können. Das ist schwer zu beurteilen, da ein junger Mensch, der eine bestimmte Ausbildung genossen hat, nicht in jedem Fall später auch den entsprechenden Beruf ausübt oder das Einkommen erzielt, dass er sich Zeiten der Ausbildung erwünscht hat.
Nach der bestehenden Gesetzeslage wird bereits heute grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein junger Mensch in aller Regel Einkünfte durch Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt und auch entsprechend entschädigt werden muss. Kriterien wie Ausbildungsgrad, Berufe der Eltern, Lebensstandard etc. werden dabei herangezogen. So wird ein angehender Arzt, dessen Vater ebenfalls ein Arzt mit gutgehender Praxis ist, mehr Entschädigung bekommen, als der Sohn eines Arbeitslosen, der eine Sozialwohnung bewohnt. Hier sah der Arbeitskreis keinen Bedarf, einen gesetzlichen Mindesterwerbsschaden festzulegen. Die entsprechende Höhe muss demnach individuell festgelegt werden.
Eine Empfehlung des Arbeitskreises wurde dergestalt formuliert, bereits frühzeitig Gespräche mit dem Schädiger bzw. der Versicherung aufzunehmen um auch hier von der Versicherung Vorschusszahlungen verlangen zu können, damit eine wirtschaftliche Notlage gar nicht entsteht. Letztendlich wurde verlangt, dass die Richter, die sich derartigen Fällen befassen, eine spezielle Ausbildung haben sollten, und hier, ähnlich wie bei den Wirtschaftskammern, Kammern bzw. Senate geschaffen werden sollten, in denen die Richter entsprechend weitergebildet werden.
Auch sollte die anwaltliche Vertretung einem Fachanwalt für Verkehrsrecht überlassen werden, der auf Augenhöhe mit den Haftpflichtversicherern verhandeln kann.
II. MINDERJÄHRIGENSCHUTZ VERSUS SCHUTZ DER ANDEREN UNFALLBETEILIGTEN – ZWEI SICH AUSSCHLIESSENDE PRINZIPIE
Es dürfte bekannt sein, dass Kinder im Straßenverkehr bis zu einem Alter von 10 Jahren nicht haften. Wenn ein Zehnjähriger mit dem Fahrrad einen Unfall verursacht oder auch gegen ein parkendes Fahrzeug fährt, hat der Geschädigte in aller Regel das Nachsehen, wenn nicht die Eltern durch entsprechende Haftpflichtversicherungen mit entsprechenden Regelungen abgesichert sind. Eine Haftung der Eltern ist hier weitgehend auszuschließen. Sie haften nur im Falle der Aufsichtspflichtverletzung. Von den Eltern wird jedoch nicht bei einem Zehnjährigen verlangt werden können, ständig hinter dem Fahrrad herzurennen, so dass eine Haftung der Eltern sehr schwer zu erlangen sein wird.
Hier hat sich der Arbeitskreis sogar darauf verständigt, den Kindern in ihrer Entwicklung möglichst große Freiräume einzuräumen und die Ansprüche an die Aufsichtspflicht der Eltern dementsprechend zurückzufahren. Bei Abschluss von Haftpflichtversicherungen muss, darauf geachtet werden, dass speziell die Klauseln für die minderjährigen Kinder beinhaltet sind, ansonsten wird sich die Haftpflichtversicherung darauf berufen, dass das Kind vom Gesetz her nicht haften muss, und somit auch die Haftpflichtversicherung nicht in die Schadensregulierung eintreten wird.
Die Empfehlungen dieses Arbeitskreises gingen dahin, dass es bereits in Kindergärten und in Schulen entsprechende Schulungen, Aufklärungen und eine Intensivierung der Verkehrserziehung geben soll, um praktisch das Problem an der Wurzel zu packen und den Kindern von Anfang an den Sinn für die Gefahren im Straßenverkehr zu schärfen. An der Altersgrenze 10 Jahre wollte man nicht rütteln. Grundsätzlich ist ein Kind erst ab dem Alter von 11 Jahren für einen Schaden, den es im Straßenverkehr verursacht, verantwortlich. Jedoch wird immer im Einzelfall geprüft ob das Kind schon geistig und körperlich in der Lage war, die Gefahren zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Es wird dringend geraten, in diesem Fall einen Fachanwalt einzuschalten.
III. AGGRESSIVITÄT IM STRASSENVERKEH
Bei stetig wachsendem Verkehr mit immer mehr Fahrzeugen, immer mehr Stress und Geschwindigkeit nimmt die Aggressivität im Straßenverkehr zu. Auf den Autobahnen sind meist Drängler und Raser die Verursacher, jedoch wurde in dem Arbeitskreis auch betont, dass gerade auch im Stadtverkehr bei Radfahrern und Fußgängern erhebliche Aggressionen zu verzeichnen sind. Grundsätzlich war man sich einig, dass die bestehenden Gesetze und Möglichkeiten, diesen Tätern entgegenzuwirken, ausreichend sind. Man hielt jedoch eine Verstärkung der Verkehrsüberwachung, die insbesondere den Kraftfahrzeug- und den Fahrradverkehr betrifft, für sinnvoll. Hier sind verstärkte Verkehrsüberwachungen notwendig, die insbesondere präventive Funktionen haben sollen.
Gefordert wurde weiterhin ein Deliktkatalog, der Taten beinhaltet die typischerweise Zweifel an der Fahreignung begründen. Hier soll dann die Möglichkeit der Verwaltungsbehörde geschaffen werden, die Fahreignung infolge sich häufender aggressiver Delikte zu überprüfen. Die daraus resultierende Aussicht auf eine MPU-Überprüfung wird mit Sicherheit eine deutlich abschreckende Wirkung auf aggressive Täter ausüben.
IV. GESCHWINDIGKEITSMESSUNG IM STRASSENVERKEH
Für die meisten Verkehrsteilnehmer ein leidiges Thema.
Der Eindruck besteht allgemein, dass Geschwindigkeitskontrollen nicht an Gefahrenstellen wie vor Schulen, Unfallschwerpunkten oder auch wegen des Umweltschutzes, durchgeführt werden, sondern nur, um die Kassen der Kommune zu füllen.
Hier wurde – wie vom ADAC schon lange gefordert – empfohlen, Ort, Zeit und Auswahl der Messstellen ausschließlich an der Verkehrssicherheit und dem Umweltschutz zu orientieren um fiskalische Gesichtspunkte als Kriterium auszuschließen. Damit verspricht man sich auch eine höhere Akzeptanz der Geschwindigkeitsmessungen in der Bevölkerung. Weiterhin wurde gefordert, dass das Messepersonal entsprechend geschult werden muss, und die Messung hinreichend und nachvollziehbar dokumentiert sein muss.
Aus der täglichen Erfahrung muss ich leider feststellen, dass es für den Anwalt sehr schwer ist, an die Messung als solche heranzukommen. Weiterbildung- und Teilnahmebescheinigungen der Beamten sind meist in den Ermittlungsakten vorhanden. Das Gerät ist in der Regel auch entsprechend geeicht. Ansatzpunkte sind jedoch immer wieder fehlende Dokumentationen der Messungen, die aber sehr oft in dem Hauptverhandlungstermin erörtert werden und dann nachgereicht werden müssen.
Thema war auch Änderung der Software nach Eichung oder aber auch nach entsprechender Schulung der Beamtem. Auch hierzu kann ich aus meiner alltäglichen Erfahrung berichten, dass hier keine Änderung nötig ist, da die Messbeamten in der Regel eine entsprechende Schulung oder Nachschulung erfahren haben und die Geräte auch in der Regel nach den Herstellerangaben bedienen.
Der Einzelfall bedarf dennoch einer jeweiligen Überprüfung, denn es kommt immer mal wieder vor, dass im Ausnahmefall auch nicht geschulte Beamte die Messung vornehmen, etwa wenn der geschulte Beamte erkrankt ist.
Das Akteneinsichtsrecht durch den Rechtsanwalt soll ergänzt werden und zwar insbesondere um die Gebrauchsanweisung unter vollständigen Datensätzen der jeweiligen Messreihe. Dies halte ich für sehr sinnvoll, denn um nachvollziehen zu können, ob der Messbeamte der in der Verhandlung sicherlich angeben wird, er habe das Gerät ordnungsgemäß aufgebaut, überprüfen zu können, müssen die Gebrauchsanweisungen der Akte beiliegen, was im Moment noch regelmäßig nicht der Fall ist.
V. REFORM DES PUNKTESYSTEMS
Der letzte Vortrag von mir im November 2012 befasste sich mit der Reform des Punktesystems, die für Anfang 2014 vorgesehen war.
Die Änderungsvorhaben noch einmal kurz zusammengefasst:
- Entziehung der Fahrerlaubnis bei 8 Punkten, anstatt bei 18
- kein freiwilliger Punkteabbau durch Aufbauseminar mehr möglich
- Abschaffung der Tilgungshemmung, durch erneuten Verstoß während der Tilgungsfrist
- Verlängerung der einzelnen Tilgungsfrist
- Punktevergabe nur noch bis 2 Punkte
- Wegfall der Überliegefrist
- kein Eintrag von Delikten, die nicht die Verkehrssicherheit betreffen
Der Arbeitskreis war einstimmig der Auffassung, dass dem Gesetzesvorschlag der Bundesregierung in der vorliegenden Fassung nicht zugestimmt werden kann. Die Möglichkeit des Punkteabbaus soll wieder vorgesehen werden. Der Arbeitskreis äußerte Bedenken, ob es tatsächlich erforderlich ist, das bisherige 18-Punkte-System zu Gunsten des vorgesehenen 8-Punkte-Systems aufzugeben. Es wurden Zweifel geäußert, dass einige Ordnungswidrigkeiten vom Punktesystem herausgenommen werden sollen, wie z.B. das Einfahren in die Umweltzone ohne Umweltplakette etc. Ich hatte letztes Jahr davon berichtet.
Zunächst bleibt alles beim Alten. Ob und in welchem Umfang überhaupt in dieser Legislaturperiode noch eine Punktereform realisiert werden kann, wird in den nächsten Monaten als rein politische Frage entschieden. Ich denke eher, dass aufgrund der großen Unstimmigkeit und des großen Diskussionsbedarfs in allzu naher Zukunft eine Reform nicht realisierbar sein wird.
VI. SCHADENSMANAGEMENT DER RECHTSSCHUTZVERSICHERER IM VERKEHRSRECHT
Kernpunkt dieses Arbeitskreises war die Frage, ob und inwieweit Rechtsschutzversicherung durch ihr Schadensmanagement in die Entscheidungsfreiheit des Versicherungsnehmers eingreifen könnte.
Als Beispiel kann angeführt werden, dass bestimmte Rechtsschutzversicherer mit Rechtsanwälten zusammen arbeiten und ihren Versicherungsnehmer anbieten, auf etwaige Selbstbeteiligung zu verzichten, wenn der Versicherungsnehmer sich des in enger Zusammenarbeit mit der Rechtsschutzversicherung arbeitenden Rechtsanwaltes bedient.
Hier ist ganz klar die Gefahr der fehlenden Unabhängigkeit zu beobachten. Somit wurde als eindeutige Empfehlung ausgesprochen, dass die Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes für eine funktionsfähige Rechtspflege unabdingbar ist. Die freie Rechtsanwaltswahl muss gewährt bleiben, gerade auch um interne Absprachen zwischen Anwalt und Rechtsschutzversicherung entgegenzuwirken und damit will ich es auch für diesen Arbeitskreis belassen.
VII. IST DIE FAHRAUSBILDUNG NOCH ZEITGEMÄSS
Selbstverständlich muss man zu dem Schluss kommen, dass durch die wachsende Zahl der Verkehrsteilnehmer die Technik in den PKWs die Fahrausbildung entsprechend angepasst werden muss. Auch hier ging die Empfehlung dahin, dass bereits in den Schulen und Kindergärten die Verkehrserziehung mehr in den Vordergrund gerückt werden sollen, und auch die Fahrschulen sich auf die wachsenden Ansprüche einstellen müssen.
Das begleitende Fahren ab 17 Jahren war hier auch Diskussionspunkt. Es wurde für sinnvoll gehalten, den Fahranfänger zunächst zu begleiten, um ihn erst nach einiger Fahrpraxis dann alleine mit dem Fahrzeug fahren zu lassen. Auch ich halte dies für sinnvoll. Hier erwägt man sogar den Alterszeitpunkt von 17 auf 16 abzusenken.
Weiterhin kam man trotz der erhöhten Ansprüche an die Fahrschulen zu dem Ergebnis, dass der Führerschein weiterhin bezahlbar bleiben muss. In der Regel verfügen die Fahranfänger noch nicht über ein eigenes Einkommen oder über ein sehr geringes Einkommen. Dennoch muss die Teilnahme an dem Straßenverkehr gewährleistet werden können, so dass einer Explosion der Kosten auf jeden Fall entgegengewirkt werden soll.
VIII. 100 JAHRE NACH DER TITANIC, SICHERHEIT VON FAHRGASTSCHIFFEN IN NEUER DISKUSSION.
Als Beispiel wurde hier der Seeunfall der Costa Concordia erörtert und die Frage aufgeworfen, ob denn die Fahrgastschiffe noch den entsprechenden Sicherheitsstandards genügen. Zusammenfassend lässt sich hierzu sagen, je größer das Schiff, desto höher die Sicherheit. Menschliches Versagen wird es immer geben.
Auch hier wurde wieder das Augenmerk auf frühzeitige Schulungen, Ausbildungen und Sicherheitstraining der Besatzung gelenkt. Einhergehend natürlich immer mit der Verbesserung des Sicherheitsstandards der Schiffe selbst. Bessere Planung in Notfällen sowie intensiveres Training und regelmäßige Übungen im Notfall wurden für wünschenswert erachtet. Hier war der Anspruch, Kriterien für Standards zu entwickeln die jedes Schiff erfüllen muss, bevor es für die Gastschifffahrt zugelassen wird.
Die Übersicht über die wichtigsten Punkte der diesjährigen Verkehrsgerichtstage in Goslar lässt erkennen, dass ein immer stärkeres Eingreifen des Gesetzgebers durch immer neue Regelungen nicht befürwortet werden kann, da die bestehenden Instrumente in der Regel ausreichen. Es Wird auch diesmal wieder an die Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Verkehrsteilnehmer appelliert und in diesem Jahr vermehrt auf die frühzeitige Verkehrserziehung und Auseinandersetzung mit der komplexen Materie Straßenverkehr hingewiesen.
Um die Gefahren in Straßenverkehr zu erkennen, müssen die Kinder bereits im Kindergarten langsam aber konsequent durch theoretische und praktische Übungen an dieses Thema herangeführt werden, da letztendlich nicht der Gesetzgeber, sondern wir alle für ein funktionierendes Straßenverkehrssystem verantwortlich sind.
Vielen Dank